Gut gelaunte ReferentInnen (v. l.): Prof. Dr. med. Ulrich Wedding, Vorsitzender der Hospiz- und Palliativ-Stiftung Jena, Natalie Katja Greve, Coaching, Trauerbegleitung, Hamburg, Prof. Dr. Hartmut Rosa, Soziologe, Jena,
Rund 120 aufmerksam lauschende ZuhörerInnen im Otto-Schottsaal des Jenaer Volkshauses
Der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa sprach darüber, was gesellschaftlich dazu beiträgt, für andere Sorge zu tragen
Tagung unserer Stiftung zum 10-jährigen Gründungsjubiläum am 6.12.2024
Zu ihrem 10-jährigen Bestehen hat die Hospiz- und Palliativ-Stiftung Jena am Nikolaustag eine Tagung organisiert. Rund 120 Teilnehmer und Teilnehmerinnen hörten im Jenaer Volkshaus drei
Referenten zum Thema „Wer versorgt die Boomer? Gemeinsam Sorge tragen – auch in Zukunft“. Im Fokus der von MDR-Radiojournalist Thomas Bille anmoderierten Vorträge stand allerdings zunächst die
Frage, welche Weichen Politik und Gesellschaft stellen können, damit die Versorgung unserer schnell alternden Bevölkerung gelingen kann. Aktuell gehört ein Drittel der deutschen Bevölkerung zur
sogenannten „(Baby-)Boomer“ Generation der Jahrgänge 1946-1964.
Raymond Voltz, Professor für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln, erklärte das in Köln bereits praktizierte Modell der „Caring Community“. In Deutschland sind rund 43 Prozent der Bevölkerung von den Themen Sterben, Tod und Trauer selbst oder in ihrem Umfeld betroffen. Häufig seien diese Menschen unterstützungsbedürftig. Professionelle Hilfe trage dazu allerdings nur zu ca. fünf Prozent bei. Die meiste Zeit seien Betroffene auf Familie, Freunde und Nachbarn angewiesen. Hier sieht Voltz die Kommunen in der Pflicht, niederschwellige Kontakt- und Unterstützungsangebote für Schwerstkranke und ihr soziales Umfeld zu schaffen, wie das in Köln bereits bestehende Buddy-System. „Da sind wir in der Versorgungskultur und Trauerkompetenz noch eher schlecht in Deutschland“, sagte Volz.
Zum Umgang mit Trauer in Unternehmen referierte Natalie Katja Greve. Jeder zehnte Berufstätige befinde sich in einem akuten Trauerprozess. Es sei nicht nur im Interesse der Betroffenen, sondern auch von Arbeitgebern, Strukturen für eine Trauerkultur und Unterstützungsangebote zu schaffen, um Verhaltensunsicherheiten und Berührungsängste abzubauen.
Als dritter Redner nahm der Jenaer Soziologe Professor Hartmut Rosa den Status quo unserer Gesellschaft im Hinblick auf Pflege und Versorgung in den Fokus und zeigte mögliche Perspektiven auf. Er stellte fest, dass die bezahlte und vor allem unbezahlte Care-Arbeit immer noch überwiegend von Frauen geleistet wird. Hier sei individuelles, aber auch gesellschaftliches Umdenken wünschenswert ─ weg von einem fokussierten Kosten-Nutzen-Denken hin zu einer „Weitwinkel-Aufmerksamkeit“ und Sensibilität für die Bedürfnisse anderer, ohne zu fragen, „was habe ich davon“. Die Chance liege darin, Fürsorge nicht nur effektivitätsoptimiert zu vollziehen, sondern in eine Beziehung zu den Zuwendungsbedürftigen zu treten, Resonanz zu erzeugen und zu spüren. Das sei „der Inbegriff des lebendig Seins“.
Im Anschluss an die Vorträge moderierte Thomas Bille eine lebhaft und auch kontrovers geführte Podiumsdiskussion. So thematisierte der Stiftungsvorsitzende Professor Ulrich Wedding mehr medizinische Selbstkompetenz Betroffener im Hinblick auf noch erfolgversprechendes Therapieren. Aus dem Publikum kam Fragen zu Vor- und Nachteilen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz in der Pflege.
Zum Schluss der Veranstaltung schlug Moderator Bille wieder den Bogen zum Titel der Tagung: „Am Ende wird es wohl darauf hinauslaufen, dass die fitten Boomer die weniger fitten versorgen.“